Beschlussvorschlag:
Die
Stadtvertretung der Stadt Boizenburg/Elbe bindet ihren Vertreter in der
Gesellschafterversammlung der Stadtwerke Boizenburg/Elbe GmbH dahingehend, die
Bestellung von Herrn Rainer Wilmer zum Mitglied des Aufsichtsrates der
Versorgungsbetriebe Elbe GmbH aufzuheben.
Sachdarstellung und Begründung:
Der Aufsichtsratsvorsitzende der VersorgungsBetriebe Elbe hat in seinem Schreiben an den Bürgermeister vom 21.06.2011 mitgeteilt, dass das Aufsichtsratsmitglied Herr Rainer Wilmer gegen die Verschwiegenheitspflichten des Aufsichtsrates verstoßen hat, indem er interne Informationen der Presse bekanntgegeben hat. Durch diese Handlungsweise sei das Vertrauensverhältnis nachhaltig gestört.
Der Vorfall ist rechtsgutachterlich von der Rechtsanwaltsgesellschaft Rödl & Partner untersucht worden. Aus dem Gutachten wird auszugsweise im Folgenden zitiert:
„Der Bericht über Entscheidungsprozesse des
Aufsichtsrates ist insbesondere auch deshalb geeignet, dem Ansehen der
Gesellschaft und deren Organen zu schaden, weil gleichzeitig in dem Interview
über den eigenen in der Aufsichtsratssitzung abgegebenen Vorschlag berichtet
wird, der nur eine halb so hohe Preiserhöhung vorsieht. Zwar unterliegt ein
Aufsichtsratsmitglied hinsichtlich seines eigenen Abstimmungsverhaltens nach
wohl überwiegender Meinung nicht der Verschwiegenheitspflicht.[1]
Der Bericht über den eigenen Vorschlag und dessen Begründung - u.a. mit
einer angeratenen notwendigen Marktbeobachtung im Zusammenhang mit der Frage
über das Abstimmungsverhalten der anderen Aufsichtsratsmitglieder in der
Sitzung - kann aber Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des
Aufsichtsrates bei den Kunden auslösen und dadurch einen Schaden für die
Gesellschaft hervorgerufen. Denn das Aufsichtsratsmitglied hat - unter den
Aspekten der Verschwiegenheitspflicht zu Recht - nicht im Einzelnen
darüber berichtet, was die übrigen Mitglieder bewogen hat, seinem Vorschlag
nicht zu folgen.
Der Aufsichtsrat der VersorgungsBetriebe Elbe GmbH hat dieses Verhalten in seiner Sitzung am 20.06.2011 missbilligt, auch zum Schutz der eigenen zukünftigen Handlungsfähigkeit und der Aufsichtsrat empfiehlt dem Entsender, der Stadtvertretung der Stadt Boizenburg/Elbe, dieses Verhalten von Herrn Wilmer rechtlich zu würdigen und über geeignete Maßnahmen zu entscheiden.
Theoretisch können
bei einer Verletzung von Verschwiegenheitspflichten durch ein
Aufsichtsratsmitglied folgende Maßnahmen ergriffen werden:
-
Ist eine vertrauliche Zusammenarbeit der
übrigen Aufsichtsratsmitglieder mit dem sich treuwidrig verhaltenden
Aufsichtsratsmitglied in Zukunft ausgeschlossen, so kann ein wichtiger Grund
für dessen Abberufung vorliegen. Bei entsendeten Abgeordneten ist der
Entsendungsberechtigte in diesem Fall verpflichtet, das Aufsichtsratsmitglied
abzuberufen. Kommt der Entsendungsberechtigte dem nicht nach, so ist strittig,
ob die Gesellschafterversammlung dessen Abberufung anstelle des
Entsendungsberechtigen beschließen kann (so wohl die überwiegende Auffassung in
der Literatur) oder ob die Gesellschaft
den Entsendungsberechtigten verklagen muss, das Aufsichtsratsmitglied
abzuberufen, wobei dem auch eine entsprechende Weisung durch
Gesellschafterbeschluss zugrunde liegen sollte. Wenn, wie in diesem Fall, der
Entsendungsberechtige gleichzeitig Gesellschafter ist, ist er bei dem zuletzt
genannten Beschluss nicht stimmberechtigt. Soweit der Antrag auf Abberufung
keine Beschlussmehrheit findet, kann der Gesellschafter, nach dessen Auffassung
ein entsprechender Beschluss zu fällen gewesen wäre, hiergegen durch eine
positive Beschlussfeststellungsklage gerichtlich vorgehen.
-
Die Gesellschaft kann Ansprüche auf
Schadenersatz wegen der Verletzung der Verschwiegenheitspflicht nach Beschluss
gemäß § 46 Nr. 8 GmbHG analog geltend machen. Voraussetzung für einen
Schadenersatzanspruch ist, dass die Verschwiegenheitspflicht schuldhaft, d. h.
mindestens fahrlässig (§ 276 BGB) verletzt wurde. Der Schadensersatzanspruch
richtet sich immer nur gegen das einzelne Aufsichtsratsmitglied persönlich und
nicht gegen das Organ Aufsichtsrat.
-
Auf Antrag der Gesellschaft kann darüber
hinaus theoretisch gegen Aufsichtsratsmitglieder nach § 85 GmbHG
strafrechtlich vorgegangen werden, wenn Geheimhaltungspflichten vorsätzlich
verletzt wurden.
Herr
Wilmer hat durch sein Interview mit der SVZ und der als Mitglied des
Aufsichtsrates erfolgten Bekanntgabe über die beschlossene Gaspreiserhöhung
seinen Kompetenzbereich zum einen dadurch treuwidrig überschritten, dass er als
Aufsichtsratsmitglied nicht befugt war, in dieser Eigenschaft nach außen
Erklärungen für das Organ Aufsichtsrat abzugeben. Zum anderen hat er seine
Kompetenz überschritten, weil der Bereich der Öffentlichkeitsarbeit in den
Kompetenzbereich der Geschäftsführung der VersorgungsBetriebe Elbe GmbH fällt
und damit auch das Organ Aufsichtsrat als „Innenorgan“ nicht befugt gewesen
wäre, anstelle der Geschäftsleitung nach außen aufzutreten.
Die
gesellschaftsrechtliche Beschränkung der Rechte eines Aufsichtsratsmitglieds,
Tatsachen über die Gesellschaft, für die das Mandat besteht, öffentlich kund zu
tun, verstößt nicht gegen Artikel 5 Grundgesetz (Recht auf freie
Meinungsäußerung).
Da
die Zustimmung zur Gaspreiserhöhung durch den Aufsichtsrat nur im Rahmen der
internen Aufgabe der Überwachung der Geschäftsleitung erfolgte, wäre auch der
Aufsichtsratsvorsitzende auf Grund der Kompetenz der Geschäftsleitung zur
Öffentlichkeitsarbeit grundsätzlich nicht berechtigt gewesen, diesen Beschluss
der Öffentlichkeit zu verkünden, es sei denn, er wäre hierzu von den Gesellschaftern
angewiesen worden.
Er
verstößt durch die Bekanntgabe schutzbedürftiger vertraulicher Tatsachen in dem
Interview gegen die ihm obliegende gesellschaftsrechtliche
Verschwiegenheitspflicht.
Der
Verstoß gegen die Verschwiegenheitspflicht ist in diesem Fall weder unter dem
Aspekt der Eigenverantwortlichkeit des Aufsichtsratsmitgliedes noch unter dem
Aspekt der Freiheit des politischen Mandats gerechtfertigt.
Verletzen
Aufsichtsratsmitglieder Verschwiegenheitsverpflichtungen, so kommen deren Abberufung
sowie die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen bei einem zumindest
fahrlässigen Verstoß in Betracht.“
Der Fachdienst Recht
und Kommunalaufsicht des Landkreises Ludwigslust wertet den Vorgang
folgendermaßen:
„Im
Ergebnis werden diesseits die Bewertungen der Kanzlei Rödl & Partner
geteilt. Hinsichtlich der Möglichkeit der Abberufung eines Mitgliedes des
Aufsichtsrates bitte ich jedoch noch einmal um detaillierte Einsicht in die
Satzung der Gesellschaft zu nehmen. Für die Frage, wer für die Abberufung
zuständig ist, ist entscheidend, ob ein direktes Entsendungsrecht der Stadt
Boizenburg im Aufsichtsrat besteht, oder ob der Aufsichtsrat über die
Gesellschafterversammlung der Versorgungsbetriebe Elbe GmbH bestellt bzw.
gewählt wird. Bei einer direkten Entsendung der Stadt Boizenburg in den
Aufsichtsrat kann die Gesellschaft von der Möglichkeit der Aufhebung der
Bestellung nach § 71 Abs. 2 KV Gebrauch machen. Zu beachten wäre dabei, dass es
sich nicht um eine Abberufung nach
§
32 Abs. 3 KV handelt. Dies folgt daraus, dass es sich bei der Bestellung von
Mitgliedern in den Aufsichtsrat nicht um eine Wahl handelt. Insofern gilt hier
§ 31 KV, wonach insbesondere keine geheime Abstimmung möglich ist und auch das
Mitwirkungsverbot nach § 24 KV greift, d. h., der Betroffene, mithin das
abzuwählende Mitglied des Aufsichtsrates, nicht an dem Beschluss zur Aufhebung
der Bestellung mitwirken darf.
Ob
die Stadt bzw. die Gesellschafterversammlung von dieser Möglichkeit der
Aufhebung der Bestellung bzw. bei einer Wahl durch die
Gesellschafterversammlung von der Abberufung Gebrauch machen möchte, ist vor
Ort eigenständig zu entscheiden.“
Zwischenzeitlich
hat sich auch Frau Rechtsanwältin Birgit Struck-Henning in Vollmacht von Herrn
Wilmer in die Angelegenheit eingeschaltet. Ihr Schreiben vom 08.08.2011 liegt
dieser Vorlage in Kopie bei.
Nach
Auffassung der Rechtsaufsichtsbehörde ist die Frage, ob der Punkt auf der
Sitzung des Aufsichtsrates am 20.06.2011 hätte behandelt werden dürfen, nicht
relevant; hier kommt es vielmehr ausschließlich auf die sachlichen und nicht
auf die formellen Gründe an. Diese sachlichen Gründe werden im Rechtsgutachten
der Kanzlei Rödl & Partner ausführlich dargelegt.
Alternativen: