Betreff
Versorgungsbetriebe Elbe GmbH hier: Aufhebung der Berufung eines Mitgliedes des Aufsichtsrates
Vorlage
074/11/BM
Art
Beschlussvorlage

Beschlussvorschlag:

Die Stadtvertretung der Stadt Boizenburg/Elbe bindet ihren Vertreter in der Gesellschafterversammlung der Stadtwerke Boizenburg/Elbe GmbH dahingehend, die Bestellung von Herrn Rainer Wilmer zum Mitglied des Aufsichtsrates der Versorgungsbetriebe Elbe GmbH aufzuheben.


Sachdarstellung und Begründung:

 

Der Aufsichtsratsvorsitzende der VersorgungsBetriebe Elbe hat in seinem Schreiben an den Bürgermeister vom 21.06.2011 mitgeteilt, dass das Aufsichtsratsmitglied Herr Rainer Wilmer gegen die Verschwiegenheitspflichten des Aufsichtsrates verstoßen hat, indem er interne Informationen der Presse bekanntgegeben hat. Durch diese Handlungsweise sei das Vertrauensverhältnis nachhaltig gestört.

 

Der Vorfall ist rechtsgutachterlich von der Rechtsanwaltsgesellschaft Rödl & Partner untersucht worden. Aus dem Gutachten wird auszugsweise im Folgenden zitiert:

„Der Bericht über Entscheidungsprozesse des Aufsichtsrates ist insbesondere auch deshalb geeignet, dem Ansehen der Gesellschaft und deren Organen zu schaden, weil gleichzeitig in dem Interview über den eigenen in der Aufsichtsratssitzung abgegebenen Vorschlag berichtet wird, der nur eine halb so hohe Preiserhöhung vorsieht. Zwar unterliegt ein Aufsichtsratsmitglied hinsichtlich seines eigenen Abstimmungsverhaltens nach wohl überwiegender Meinung nicht der Verschwiegenheitspflicht.[1] Der Bericht über den eigenen Vorschlag und dessen Begründung - u.a. mit einer angeratenen notwendigen Marktbeobachtung im Zusammenhang mit der Frage über das Abstimmungsverhalten der anderen Aufsichtsratsmitglieder in der Sitzung - kann aber Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Aufsichtsrates bei den Kunden auslösen und dadurch einen Schaden für die Gesellschaft hervorgerufen. Denn das Aufsichtsratsmitglied hat - unter den Aspekten der Verschwiegenheitspflicht zu Recht - nicht im Einzelnen darüber berichtet, was die übrigen Mitglieder bewogen hat, seinem Vorschlag nicht zu folgen.

 

Der Aufsichtsrat der VersorgungsBetriebe Elbe GmbH hat dieses Verhalten in seiner Sitzung am 20.06.2011 missbilligt, auch zum Schutz der eigenen zukünftigen Handlungsfähigkeit und der Aufsichtsrat empfiehlt dem Entsender, der Stadtvertretung der Stadt Boizenburg/Elbe, dieses Verhalten von Herrn Wilmer rechtlich zu würdigen und  über geeignete Maßnahmen zu entscheiden.

 

Theoretisch können bei einer Verletzung von Verschwiegenheitspflichten durch ein Aufsichtsratsmitglied folgende Maßnahmen ergriffen werden:

-          Ist eine vertrauliche Zusammenarbeit der übrigen Aufsichtsratsmitglieder mit dem sich treuwidrig verhaltenden Aufsichtsratsmitglied in Zukunft ausgeschlossen, so kann ein wichtiger Grund für dessen Abberufung vorliegen. Bei entsendeten Abgeordneten ist der Entsendungsberechtigte in diesem Fall verpflichtet, das Aufsichtsratsmitglied abzuberufen. Kommt der Entsendungsberechtigte dem nicht nach, so ist strittig, ob die Gesellschafterversammlung dessen Abberufung anstelle des Entsendungsberechtigen beschließen kann (so wohl die überwiegende Auffassung in der Literatur) oder ob die Gesellschaft den Entsendungsberechtigten verklagen muss, das Aufsichtsratsmitglied abzuberufen, wobei dem auch eine entsprechende Weisung durch Gesellschafterbeschluss zugrunde liegen sollte. Wenn, wie in diesem Fall, der Entsendungsberechtige gleichzeitig Gesellschafter ist, ist er bei dem zuletzt genannten Beschluss nicht stimmberechtigt. Soweit der Antrag auf Abberufung keine Beschlussmehrheit findet, kann der Gesellschafter, nach dessen Auffassung ein entsprechender Beschluss zu fällen gewesen wäre, hiergegen durch eine positive Beschlussfeststellungsklage gerichtlich vorgehen.

-          Die Gesellschaft kann Ansprüche auf Schadenersatz wegen der Verletzung der Verschwiegenheitspflicht nach Beschluss gemäß § 46 Nr. 8 GmbHG analog geltend machen. Voraussetzung für einen Schadenersatzanspruch ist, dass die Verschwiegenheitspflicht schuldhaft, d. h. mindestens fahrlässig (§ 276 BGB) verletzt wurde. Der Schadensersatzanspruch richtet sich immer nur gegen das einzelne Aufsichtsratsmitglied persönlich und nicht gegen das Organ Aufsichtsrat.

-          Auf Antrag der Gesellschaft kann darüber hinaus theoretisch gegen Aufsichtsrats­mitglieder nach § 85 GmbHG strafrechtlich vorgegangen werden, wenn Geheimhaltungs­pflichten vorsätzlich verletzt wurden.

 

Herr Wilmer hat durch sein Interview mit der SVZ und der als Mitglied des Aufsichtsrates erfolgten Bekanntgabe über die beschlossene Gaspreiserhöhung seinen Kompetenzbereich zum einen dadurch treuwidrig überschritten, dass er als Aufsichtsratsmitglied nicht befugt war, in dieser Eigenschaft nach außen Erklärungen für das Organ Aufsichtsrat abzugeben. Zum anderen hat er seine Kompetenz überschritten, weil der Bereich der Öffentlichkeitsarbeit in den Kompetenzbereich der Geschäftsführung der VersorgungsBetriebe Elbe GmbH fällt und damit auch das Organ Aufsichtsrat als „Innenorgan“ nicht befugt gewesen wäre, anstelle der Geschäftsleitung nach außen aufzutreten.

Die gesellschaftsrechtliche Beschränkung der Rechte eines Aufsichtsratsmitglieds, Tatsachen über die Gesellschaft, für die das Mandat besteht, öffentlich kund zu tun, verstößt nicht gegen Artikel 5 Grundgesetz (Recht auf freie Meinungsäußerung).

Da die Zustimmung zur Gaspreiserhöhung durch den Aufsichtsrat nur im Rahmen der internen Aufgabe der Überwachung der Geschäftsleitung erfolgte, wäre auch der Aufsichtsratsvorsitzende auf Grund der Kompetenz der Geschäftsleitung zur Öffentlichkeitsarbeit grundsätzlich nicht berechtigt gewesen, diesen Beschluss der Öffentlichkeit zu verkünden, es sei denn, er wäre hierzu von den Gesellschaftern angewiesen worden.

Er verstößt durch die Bekanntgabe schutzbedürftiger vertraulicher Tatsachen in dem Interview gegen die ihm obliegende gesellschaftsrechtliche Verschwiegenheitspflicht.

Der Verstoß gegen die Verschwiegenheitspflicht ist in diesem Fall weder unter dem Aspekt der Eigenverantwortlichkeit des Aufsichtsratsmitgliedes noch unter dem Aspekt der Freiheit des politischen Mandats gerechtfertigt. 

Verletzen Aufsichtsratsmitglieder Verschwiegenheitsverpflichtungen, so kommen deren Abberufung sowie die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen bei einem zumindest fahrlässigen Verstoß in Betracht.“

 

Der Fachdienst Recht und Kommunalaufsicht des Landkreises Ludwigslust wertet den Vorgang folgendermaßen:

„Im Ergebnis werden diesseits die Bewertungen der Kanzlei Rödl & Partner geteilt. Hinsichtlich der Möglichkeit der Abberufung eines Mitgliedes des Aufsichtsrates bitte ich jedoch noch einmal um detaillierte Einsicht in die Satzung der Gesellschaft zu nehmen. Für die Frage, wer für die Abberufung zuständig ist, ist entscheidend, ob ein direktes Entsendungsrecht der Stadt Boizenburg im Aufsichtsrat besteht, oder ob der Aufsichtsrat über die Gesellschafterversammlung der Versorgungsbetriebe Elbe GmbH bestellt bzw. gewählt wird. Bei einer direkten Entsendung der Stadt Boizenburg in den Aufsichtsrat kann die Gesellschaft von der Möglichkeit der Aufhebung der Bestellung nach § 71 Abs. 2 KV Gebrauch machen. Zu beachten wäre dabei, dass es sich nicht um eine Abberufung nach

§ 32 Abs. 3 KV handelt. Dies folgt daraus, dass es sich bei der Bestellung von Mitgliedern in den Aufsichtsrat nicht um eine Wahl handelt. Insofern gilt hier § 31 KV, wonach insbesondere keine geheime Abstimmung möglich ist und auch das Mitwirkungsverbot nach § 24 KV greift, d. h., der Betroffene, mithin das abzuwählende Mitglied des Aufsichtsrates, nicht an dem Beschluss zur Aufhebung der Bestellung mitwirken darf.

Ob die Stadt bzw. die Gesellschafterversammlung von dieser Möglichkeit der Aufhebung der Bestellung bzw. bei einer Wahl durch die Gesellschafterversammlung von der Abberufung Gebrauch machen möchte, ist vor Ort eigenständig zu entscheiden.“

Zwischenzeitlich hat sich auch Frau Rechtsanwältin Birgit Struck-Henning in Vollmacht von Herrn Wilmer in die Angelegenheit eingeschaltet. Ihr Schreiben vom 08.08.2011 liegt dieser Vorlage in Kopie bei.

 

Nach Auffassung der Rechtsaufsichtsbehörde ist die Frage, ob der Punkt auf der Sitzung des Aufsichtsrates am 20.06.2011 hätte behandelt werden dürfen, nicht relevant; hier kommt es vielmehr ausschließlich auf die sachlichen und nicht auf die formellen Gründe an. Diese sachlichen Gründe werden im Rechtsgutachten der Kanzlei Rödl & Partner ausführlich dargelegt.

 

 

 

Alternativen:

 

 



[1] Vgl. Säcker; NJW 1986, Seite 807 m.w.N.